06 Mai 2010

Nietzsche am Morgen

An einem Donnerstagmorgen im Mai gegen 8.45Uhr sitzen um die 30 Germanistikstudenten in einem Raum mit schlechter Akkustik aber wenigstens vielen Fenstern mit Blick ins Grüne. Circa 20 von diesen jungen Menschen verfolgen mit ihrer Anwesenheit nur ein Ziel: Es gilt, die Zeit abzusitzen und die eigene Unterschrift auf die Anwesenheitsliste zu pflanzen.
All jene, auf die diese Beschreibung nicht zutrifft, sitzen hier mit Körperspannung und Blickkontakt zum Dozenten und sehen sich aufmerksamkeitsheischend um, wenn sie in regelmäßigen Abständen ihre völlig irrelevante Meinung kundtun müssen.
Heute erhellen sie unseren Morgen mit der Argumentation, ob Goethe während seiner Italienreise ein Tourist oder eher ein Reisender im definierten Sinne Jonathan Cullers ist. Man einigt sich ganz eifrig, dass sowohl Merkmale des Bildungsreisenden als auch des Touristen auf unseren guten Goethe zutreffen.
Es schlägt 9.00Uhr und zwei wichtigtuerische Herren bahnen sich ihren Weg nach vorne, stöpseln den Laptop an den Beamer und es gilt: Licht aus! Spot an! Die Show beginnt!
Ein Vortrag über Nietzsche. Kann man sich mehr erhoffen von so einem sonnigen Morgen im Mai? Ein Halbstarker in schwarzer Hose und weißem Hemd (natürlich sorgfältig in die Hose gesteckt) belehrt uns über das Leben Nietzsches zwischen frühem Tod des Vaters und der eigenen Geisteskrankheit in der letzten Dekade vor seinem Ableben. Auf didaktisch bedenkliche Weise werden ziellose Fragen in den Raum geworfen und die Zahl der Nebenaktivitäten des Publikums steigt dramatisch an. Man beschwert sich zu Recht über die fehlende Männlichkeit der Herren im Raum und die beiden Herren, die gerade on stage performen, bilden die absolute Spitze dieses Missstandes.
Bleibt zu hoffen, dass nur die wenigstens dieser Exemplare auf unschuldige Schüler losgelassen werden.

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
;