24 Juni 2010

Im Westen ist es laut

Ich sitze in einer Mövenpick Brasserie in der Nähe des Hauptbahnhofs von Hannover. Es ist deutlich wärmer als noch heute morgen in Greifswald. Aber im Schatten der Sonnenschirme lässt es sich gut aushalten. Hinter mir wird lautstark mit Presslufthämmern gearbeitet. Große Plakate versichern den Fragenden: Peek&Cloppenburg hat auch während des Umbaus geöffnet. Das erleichtert mich natürlich ungemein.
Neben der Brasserie steht eine Uhr, die ein beliebter Treffpunkt zu sein scheint, denn es scharen sich doch so einige Leute um sie. Unter ihnen ein junger Mann in blauer Jeans, blauem Poloshirt und mit einem grünen Rucksack auf dem Rücken. In der Hand hält er eine einzelne pinke Rose, die schon lange den Kopf hängen lässt. Ich hoffe für ihn, dass die Rose nicht noch frisch war, als er das Warten begonnen hat. Er tigert von rechts nach links vor dem Cafe auf und ab. Ein blondes, junges Mädchen mit Heuschnupfen hat ihm gerade aufmunternd zugelächelt. Sie scheint wie ich dem Eindruck erlegen zu sein, dass jener junge Mann auf sein Blind Date wartet.
Sein angespannter Gesichtsausdruck unterstützt unsere These. Aber ich frage mich ernsthaft, ob es noch Menschen gibt, die sich an einem belebten Platz mit einer pinken Rose als Erkennungszeichen verabreden. Es stehen noch mehr Menschen mit suchendem Blick in seinem Radius. Genau in diesem Moment wird meine Frage beantwortet. Zur pinken Rose mit hängendem Kopf gesellt sich eine langstielige rote Rose in der Hand eines anderen jungen Mannes. Er trägt ein dunkles Hemd ungeknöpft über einem schwarzen T-Shirt zu einer ebenfalls blauen Jeans. Sein Blick ist ebenso suchend wie der der pinken Rose, doch mit einem Tick weniger Verzweiflung. Der Blick der roten Rose bleibt kurz auf der pinken liegen. Vielleicht verunsichert ihn der hängende Kopf und wofür dieser stehen mag. Er blickt schnell weg und sucht weiter. An diesem Punkt treffen sich mehrere Straßen und es gilt, so viele mögliche Annäherungswege gleichzeitig zu beobachten. Die rote Rose hat schon das Handy in der Hand. Prüfender Blick. Zum Zeitvertreib oder um sich der Verabredung zu vergewissern. Die pinke Rose blickt weiterhin verunsichert umher. Die rote hat entspannt die linke Hand in der Hosentasche. Beide haben sich in den Schatten gestellt und stehen weniger als fünf Meter voneinander entfernt. Ihre Nervosität springt langsam über oder ist das nur der Latte Macchiato im Bauch? Die Uhr zeigt zwanzig nach drei. Die rote Rose hielt sich soeben das Handy ans Ohr ohne zu sprechen. Es verschwindet wieder in der Hemdtasche. Schon nimmt er es wieder in die Hand. Er wählt und hat es am Ohr. Jetzt spricht er auch und läuft davon. Hinter seiner Sonnenbrille sah er zuversichtlich aus. Zuversichtlich, aber noch nicht freudestrahlend. Die pinke Rose wartet nun wieder allein. Der Arm, der sie zuvor aufrecht gehalten hat, hängt nun. Die pinke Rose auch. Die linke Hand zieht das Handy aus der Hosentasche. Nur so weit dass es einen Blick ermöglicht. Keine Nachricht. Drei Uhr fünfundzwanzig. Jetzt schafft es das Handy ganz aus der Hose. Noch immer nichts. Ein paar mal tippen und es geht zurück in die Tiefen der Jeans. Die Uhr über dem Karstadtschriftzug zeigt schon fünf nach halb vier. Die rote Rose bleibt verschwunden. Ein Lächeln fliegt scheinbar grundlos über das Gesicht der pinken Rose. So schnell wie es kam, ist es auch wieder verschwunden. Männer ohne Rosen werden begrüßt von den Damen, auf die sie gewartet haben. Eine halbe Umarmung und ein warmes Lächeln. Ein Blick auf das Display und es rutscht zurück ins Dunkel. Ein langer Blick auf die Uhr. Nachdenklich, vielleicht abwägend. Ein kurzes Gespräch mit einem jungen Mädchen. Sie trägt ihre braunen Haare offen und karierte Chucks zu schwarzen Hotpants. Sie wendet sich schnell ab. Schon ist die pinke Rose wieder auf der anderen Seite der Uhr. Ein kleines Blütenblatt hat sich im leicht gegelten Haar verfangen. Langsam legt sich die Stirn in Falten. Wieder ein langer Blick. Zwanzig vor vier. Aus einer kleinen Plastikflasche wird der Durst gestillt. Sie ersetzt die pinke Rose in seiner linken Hand und seine Schritte entfernen sich rasch. Er hat fünfzig Minuten gewartet. Die Presslufthämmer werden wieder lauter und tiefes Tröten stimmt ab und an ein. In fünf Minuten ist Anstoß. Mein Glas ist leer und die Spannung verpufft. Ich sollte mir wohl einen anderen Beobachtungsposten suchen.

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